Dienstag, 12. April 2011

Neue kalte Heimat

(Von Christiane Laubinger)


Ein bisschen schüchtern lächelt er. Der etwa dreißig Jährige Somali ist seit einem Jahr Bewohner der Sammelunterkunft für Asylbewerber in der Calmbergstraße 2a. Zusammen mit Anna Feininger, von der Flüchtlingsinitiative Augsburg (FIA), wird er eine kleine, bunt zusammen gewürfelte Gruppe aus interessierten Bürgern, durch das rote Backsteingebäude im Antonsviertel führen. Von außen sieht die ehemalige Hindenburgkaserne eher unscheinbar aus und lässt kaum vermuten, dass hier fasst 300 Flüchtlinge aus aller Welt untergebracht sind. Die Führung beginnt. An den Wänden des Treppenhauses befinden sich Hinweiszettel der Polizei. Ab 22Uhr hat jeder Besucher das Gebäude zu verlassen. Eine schwierige Situation, denn Besucher dürfen nur auf direkte Einladung der Flüchtlinge ins Haus. Die Flüchtlinge kennen selten jemand von Außen. Etliche Augsburger wissen nicht einmal von dieser Unterkunft. Doch wir sind hier. Ausdrücklich eingeladen von den Bewohnern der Calmbergstraße und dem Künstler und Liedermacher Heinz Ratz.

Tour der 1000 Brücken

Anfang April erreicht er, im Rahmen der Vorletzten Etappe seines „moralischen Triathlons“ Augsburg. Heinz Ratz „moralischer Triathlon“ begann im Winter 2008, als er 956 Km für Obdachlose

durch Deutschland lief. Im Sommer 2009 schwamm er als zweite Etappe 890 Km durch deutsche Flüsse für die Erhaltung der Natur. Die diesjährige „Tour der 1000 Brücken“ ist nun die dritte und letzte Etappe per Fahrrad. Beinahe 7000 Km legte Ratz seit Anfang Januar mit dem Rad zurück und spielte auf siebzig Konzerten, in ebensovielen Städten. Die „Tour der 1000 Brücken“ soll deutschlandweit auf die prekäre Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen und zu einem menschenwürdigen Umgang, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung aufrufen. Auf dieser Tour soll jeder willkommen sein, mit zu radeln und sich ein Bild der Situation der Flüchtlinge zu machen. Zusammen mit Vertretern der Flüchtlingsinitiative Augsburg (FIA), Tür an Tür, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Mitgliedern des Integrationsbeirates und Flüchtlingen aus Augsburger Unterkünften und Lagern, werden im Rahmen einer Fahrradtour Flüchtlingsheime der Stadt besucht. Das Männerwohnheim in der Calmbergstraße, sowie die Familienunterkunft in der Schülestraße öffnen ihre Türen. Die Besichtigung der Flüchtlingsunterkunft in der Calmbergstraße, unter dem Thema „Unterbringung und Bewegungsfreiheit“, hinterlässt bei den Teilnehmern ein Gefühl der Fassungslosigkeit.

Eindrücke sagen mehr als 1000 Worte

In der anschließenden Pressekonferenz äußert der Künstler, „So etwas, wie hier, habe er nicht erwartet“. Heinz Ratz hat auf seinen beinahe siebzig Etappen bereits so einige Asylwohnheime gesehen. Diese hier ist besonders öde. In dem völlig heruntergekommenen Gemäuer haben die Bewohner keine Möglichkeit sich zu entfalten, oder menschenwürdig zu leben. Manche Menschen leben hier schon seit zehn bis fünfzehn Jahren. Eine große Qual, angesichts der Aussichtslosigkeit auf Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Bereits vor 15 Jahren hat der Verein „Tür an Tür“, der sich für mehr Rechte und Chancen für Zuwanderer einsetzt, dem Flüchtlingsheim in der Calmbergstraße die „goldene Abrissbirne“ verliehen. Doch warum besteht das Auffanglager immer noch? „In der Verantwortung steht hier die Regierung von Schwaben“, gibt Matthias Schopf-Emmrich vom Flüchtlings-Beratungszentrum des Vereins Tür an Tür zu bedenken. Das Haus, das Privateigentum der Regierung von Schwaben ist, zerfällt. Überall sind Risse an den Wänden. Es fehlt an einer Informationspolitik. 60% der 1600 schwäbischen Flüchtlinge sind in Augsburg unter diesen Verhältnissen untergebracht. „Wir fordern neue Häuser. Und dass die Gemeinden und Städte direkt verantwortlich gemacht werden, sich für ihre Flüchtlinge einsetzten. Sammelunterkünfte dürfen nur eine Übergangslösung sein. Die Flüchtlinge brauchen Kontaktmöglichkeiten mit der Nachbarschaft. Nur so kann Akzeptanz entstehen.“ So äußert sich ein Mitglied des Integrationsbeirates Augsburg.



Kein Zurück

Hohe, helle Zimmer, Gemeinschaftsduschen, und –Küchen. An den Mauern sind auf halber Höhe Klebebänder angebracht. „Die sollen der Taubenzeckenplage möglichst Abhilfe schaffen.“ Meint Anna Feininger von der Flüchtlingsinitiative Augsburg. Zusammen mit dem jungen Mann aus Somalia gewährt sie den Besuchern Einblick in dessen Schlafzimmer, das er mit drei weiteren Männern teilt. Ein Raum von 15m², für vier Menschen. Zwei Stockbetten stehen eng beieinander. Man kommt kaum aneinander vorbei. So eng ist es. Kein Platz für Privatsphäre. Keine Möglichkeit auszuweichen. Einige Bewohner der Calmbergstraße leben schon seit über fünf Jahren unter diesen Umständen. Die Heizungen laufen durchgehend und lassen sich nicht abstellen. Schon jetzt im Frühling ist es in den Räumlichkeiten der ehemaligen Hindenburgkaserne unerträglich warm. In den sanitären Räumlichkeiten ist der Geruch der einem entgegenschlägt dementsprechend. Ein ganzer Gang von circa 50 Menschen hat nur vier Toiletten zur Verfügung. Trotz dieser Bedingungen ist es in den Gemeinschaftsküchen relativ sauber. Drei Gasherde, kalter Fliesenboden und graue, Kacheln an den Wänden. Laut Bayrischem Staat, mit seinen im Bundesvergleich strengsten Flüchtlingsgesetzen, soll diese Art der Lagerhaltung die Rückführung der Flüchtlinge begünstigen. Doch viele sind von Verfolgung und Mord in ihrem Heimatland bedroht. Deutschlandweit befinden sich 55000 Menschen in der Warteschleife. Sie werden geduldet. Alle drei Monate muss ihr Aufenthaltsstatus erneuert werden. Nach dem Bayrischen Asylbewerber Leistungsgesetz erhält eine alleinstehende Person erst nach acht Jahren, Familienangehörige nach sechs Jahren einen offiziellen Aufenthaltsstatus.

Keine konkreten Verbesserungen

Ende letzen Jahres beteiligten sich zehn Bewohner der Calmbergstraße an der Verweigerung von Essenspaketen, um gegen ihre Lebenssituation zu streiken. Doch die Aufmerksamkeit des Landtages erwirkte noch keine konkreten Verbesserungen. Anfang Mai soll das Thema Asyl wieder auf der Tagesordnung des Bayerischen Landtages stehen. Derzeit läuft eine Petition zur deutschlandweiten Beendigung der Residenzpflicht für Asylbewerber, die noch bis zum 27. April online unterzeichnet werden kann. Zwar wurde die Residenzpflicht in Bayern vor einigen Wochen gelockert, so benötigen die Flüchtlinge in Augsburg, wenn sie beispielsweise für diverse Behördengänge nach München müssen, noch immer eine offizielle Genehmigung. Wie absurd sich die Grenzregelung im Alltag der Flüchtlinge gestaltet, verdeutlicht der Fall einer Flüchtlingsunterkunft, die direkt an der Landkreisgrenze liegt. Bei Übertretung der Grenze drohen Geldstrafen. Allerdings kam es bei nur 40 Euro Taschengeld im Monat zu häufigen Grenzüberschreitungen da die einzig preiswerte Einkaufsmöglichkeit knapp außerhalb lag. Nach Festnahmen konnten die Geldstrafen nicht bezahlt werden. Die Gefassten mussten ins Gefängnis. Die Aufenthaltsgenehmigung rückte in weite Ferne.

Kaum Förderangebote

Nach fünf minütiger Radtour befinden wir uns vor der Familienunterkunft in der Schülestraße. Von Vorn sieht das Gebäude ganz ordentlich aus. Der Kinderkurs des Hauses hat eine kleine Aufführung vorbereitet. Voll Eifer spricht jedes Kind einen Satz aus einem deutschen Gedicht. Sie sind zwischen sechs und dreizehn. Kommen aus Mazedonien, Afghanistan und vielen anderen Ländern. Tobias Hartmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kümmert sich ehrenamtlich um sie. „Die Kinder sind unglaublich dankbar, wenn man mit ihnen lernt und spielt.“ Es sind so wenige Förderangebote vorhanden, dass viele weiterhin ein ganz unsicheres Deutsch sprechen. Und das obwohl die unter 15 Jährigen noch die Möglichkeit haben, in der Schule die Sprache zu erlernen. Alle Älteren haben keinerlei Anspruch auf einen Sprachkurs oder sonstige Integrationsmaßnahmen. Erst nach drei Jahren darf man eine Ausbildung machen. Aber nur dann, wenn es keine Gegenbewerber auf die Stelle gibt.

Langweiliger „Spielplatz“

Eine mazedonische Familie gewährt uns Einlass in ihre bescheidene Wohnung. Die fünfköpfige Familie hat ein kleines Wohn- und Schlafzimmer zur Verfügung. Die Wäsche wird auf einem Minibalkon getrocknet. Gekocht wird in einer engen Gemeinschaftsküche, die für drei bis vier Familien je Gang zur Verfügung steht. Die Kinder erzählen, dass sie einen neuen „Spielplatz“ bekommen haben. Aber der sei voll langweilig. Den schauen wir uns doch gleich mal an. Im Hinterhof des

Gebäudekomplexes standen einst schöne große Bäume. Die hat die Regierung von Schwaben entfernen lassen. Anstelle dessen wurde den Kindern zum spielen ein Sandkasten hingestellt. Der Sand ist dreckig und plattgedrückt. Das wenig einladende Spielgerät steht neben stinkenden Tonnen. Hier hat – wenn überhaupt – schon lange niemand mehr gespielt.

Die Sonne lacht

Einige Flüchtlingsfamilien schließen sich der letzten Etappe unserer Radtour zum Kulturhaus Abraxas an. Mittlerweile sind wir weit über fünfzehn Personen. Wir dürfen also eine ganze Fahrbahn für uns in Anspruch nehmen. Das gemeinsame Radeln verbindet. Die Frühlingssonne lacht. Der mazedonische Papa hat seine kleine Tochter, die uns vorher so schön ihr Gedicht vorgetragen hat auf dem Rücksitz. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Es ist schön zu sehen wie Flüchtlinge, Augsburger, Jung und Alt, gemeinsam lachen und Spaß haben. Auf der Wiese hinterm Abraxas wird die bunte Radl-Gruppe von kräftigen Rhythmen der Percussion Band Sambamania begrüßt. Es sind auch schon einige Asylbewerber aus der Flakkaserne und der Windbrechtstraße vor Ort und lauschen dem Konzert. Heinz Ratz hat sich währenddessen unter die Biergartengemeinde gemischt, die dem Treiben interessiert Beachtung schenkt, und wirbt für seinen Auftritt mit seiner Band Strom und Wasser, zusammen mit weiteren Künstlern, wie dem Gitarren-Rock Musiker Stoppok.

Das Benefizkonzert

Die Ränge des Abraxas Theaters sind voll besetzt. Das Publikum ist buntgemischt. Ungefähr die Hälfte der Zuhörer sind Flüchtlinge. Alle Altersgruppen sind vertreten. Die Stimmung ist voll freudiger Erwartung. Während seiner Tour lag Heinz Ratz besonders, der Kontakt zwischen Bürgern und Flüchtlingen am Herzen. Dies ist hier in Augsburg mit Bravur gelungen. Der Musiker (Gesang, Bass) betritt mit zwei Bandkollegen (Keyboard und Schlagzeug) die Bühne. Rhythmisch, mal spielerisch, mal anklagend, decken „Strom und Wasser“ in ihren Songs gesellschaftliche Missstände unserer Gegenwart auf. Der akustische Randfiguren-Skapunkpolkarock beflügelt einige Tanzbegeisterten und auch die Menschen in den Sitzreihen, wippen zu den farbenreichen Klängen. Im Anschluss beeindruckt der Berliner Musiker Stefan Stoppok als Könner an der Gitarre. Sein purer, klarer Akustik-Sound, ist mal bluesig, mal rockig, und immer mit klugen, oft witzigen Texten. Ein schöner Abend. Diese Begegnungen hätten normalerweise nie stattgefunden. Sieht man in die Gesichter der Menschen, entdeckt man bei Vielen ein glückliches Lächeln um die Mundwinkel haschen.


Anmerkung

Mit dem Wort „Asyl“ wurde im antiken Griechenland ein Zufluchtsort bezeichnet, der Unverletzbarkeit garantierte. Ein Ort der Menschen Sicherheit vor Verfolgung und Misshandlung gewährte. 1949 wurde das Grundrecht auf Asyl in Artikel 16, Absatz 2, des Grundgesetzes festgeschrieben. Dieses gründete auf der unmittelbaren Erfahrung mit dem Hitlerfaschismus, der hunderttausende Deutsche in die Migration getrieben und Millionen Menschen heimatlos gemacht hatte. Flucht und Vertreibung ist seitdem in Deutschland auch unter Deutschen ein Thema von großer Bedeutung. Auch in Augsburg leben viele ehemalige Rucksackdeutsche.

Frägt sich nur, warum das Interesse der Mehrheitsgesellschaft so gering ist, wenn es um offenkundige Mängel des Asylverfahrens in Deutschland, um eine menschlichere Asylpolitik geht?

Ist es die Abneigung gegen alles Fremde und Andere? Wer vom Fremden spricht, behandelt zugleich das Eigene. Er setzt sich von den Anderen ab, um sich zugleich als Subjekt seine eigene Identität zu bilden. Irrationale Existenzängste werden beispielsweise ausgelöst, wenn durch mediale, bilderreiche Sprache von einer „Flüchtlingswelle“, die uns Europäer zu überrollen droht, die Rede ist. In diesen Vokabeln ist aber nicht von Menschen und Individuen die Rede. Genau auf diese sollte der Blick aber gerichtet sein, wenn man gemeinsam in die Zukunft eines Landes, eines Kontinentes blicken möchte, welche immer mehr von Einwanderung - immer massiver aus Nordafrikanischen Ländern und vielen anderen globalen Krisenherden - geprägt sein wird.

Dreiviertel der Erdbevölkerung stammt aus Dritte- beziehungsweise Vierte-Welt-Länder. Dem Europäer als solchem, bleibt nichts anderes übrig, als vom Eurozentrismus abzulassen und im Zuge von Globalisierung und gesteigerter Mobilität, über nationale Grenzen hinauszudenken.

Gerade die Deutschen dürfen nicht vergessen, dass ihr heutiger Wohlstand, zu einem großen Teil auf den Schultern der „Gastarbeiter“ der 60er und 70er Jahre ausgetragen wurde.






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