Donnerstag, 2. Dezember 2010

Pressemitteilung, 2. Dezember 2010

Flüchtlinge in Augsburg“
Der Hungerstreik im Flüchtlingslager Neusässer Straße und
die Streikaktionen in den anderen Lagern in Augsburg und
Schwabmünchen werden fortgeführt – die Ignoranz von
Regierung und Behörden ist unbeschreiblich


FIA Flüchtlingsinitiative Augsburg

Pressemitteilung, 2. Dezember 2010

Dienstag den 30.11.2010, trafen sich Vertreter der Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen in der
Calmbergstraße. Anwesend waren die Flüchtlingsinitiative Augsburg (FIA), ein Vertreter der
Grünen aus dem Augsburger Stadtrat, Tür an Tür, die GEW, Jusos, StudentInnen und Mitglieder des
bayerischen Flüchtlingsrates und der Karawane München.

Insgesamt beteiligen sich inzwischen fast 400 Flüchtlinge im Raum Augsburg an dem
Essenspaketboykott. Davon nach wie vor 250 Menschen in der Neusässer Straße, 50 in der
Calmbergstraße, 25 in der Schülestraße und 12 in Schwabmünchen.

Sprecher der Flüchtlinge versicherten sehr überzeugend, entgegen verschiedener Behauptungen,
dass der Hungerstreik in der Flakkaserne (Lager Neusässer Straße) und der Boykott der
Essenspakete in der Calmbergstraße auf absolut freiwilliger Basis beruhe. Saidu Kamara: „Wir
wohnen zu viert in einem Raum in der Neusässer Straße. Drei von uns beteiligen sich am Streik und
einer holt seine Essenspakete dienstags und donnerstags. Dabei gibt es überhaupt kein Problem,
unser Verhältnis ist freundschaftlich.“

Die Flüchtlinge berichteten, dass sich am vergangenen Sonntag Delegationen von jeweils zehn
Vertretern aus der Calmbergstraße und der Neusässer Straße getroffen haben. Dieses Streikkomitee
sei zu dem Entschluss gekommen, dass die Streiks diese Woche fortgesetzt werden. Ein Sprecher
der Hungerstreikenden sagte: „Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, um hier Hungers zu
sterben. Aber wir wollen der Regierung eine Botschaft übermitteln.“

Das Medienecho, dass sie erreicht hätten, sei gut. Aber sie hätten nicht das Gefühl, dass sie die
Politik erreicht hätten. Solange sich die Politiker unbeeindruckt zeigen, gehe der Streik weiter.
Samuel Rufus: „Niemand will vor Hunger sterben. Wir können nicht von heute auf morgen eine
Änderung erzwingen. Wir wissen, dass es ein Prozess ist. Aber wir haben schon zu lange gewartet,
es muss jetzt etwas passieren!“ Die streikenden Flüchtlinge klagten, sie spürten keinerlei Reaktion
von Seiten der Behörden, der Regierung von Schwaben, kein zuständiger Politiker lasse sich sehen,
deshalb gingen die Aktionen erstmal weiter.

Die Flüchtlinge haben zu Beginn der Streikaktionen ihre Ziele formuliert. Diese wurden noch
einmal bekräftigt:

• Geld statt Essenspakete
• Privatsphäre, Hygiene und menschenwürdiges Wohnen. Fünf Toiletten für 80 Personen, ein
Herd für 25 Personen, bis zu acht Menschen in ein Zimmer gepfercht, das nur 25-30 qm hat
– all das ist unerträglich. Daher ist die Schließung der Massenunterkünfte und die
Unterbringung in privaten Wohnungen zwingend nötig.
• Bessere medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung. (Viele der
Asylsuchenden sind durch Flucht und Verfolgung schwerstens traumatisiert. Ein Leben in
den Lagern macht dies nicht besser.)

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• Abschaffung der Residenzpflicht
• Deutschkurse, um Integration zu ermöglichen
• Das Recht, zu arbeiten, um Steuern zu zahlen und sich selbst zu versorgen zu können

Der Augsburger Stadtrat hat sich bereits im April und dann wieder im Juni dieses Jahres mit den
Problemen der Flüchtlinge befasst und wichtige Forderungen der Flüchtlinge unterstützt. Es war das
erste Mal seit vielen Jahren, dass sich der Stadtrat mit Flüchtlingsfragen befasste. Dies wurde durch
die Demonstration der Flüchtlinge am 24. April dieses Jahres erreicht. In der einstimmig gefassten
Resolution fordert der Stadtrat die „Schließung der Gemeinschaftsunterkunft Calmbergstraße“ und
eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge, konkret „die zwangsweise Unterbringung von
Asylbewerbern/-innen in Gemeinschaftsunterkünften abzuschaffen und den Weg frei zu machen für
die dezentrale Unterbringung in Privatwohnungen oder in kleinen dezentralen Einheiten.“
Außerdem befasste sich der Stadtrat auch mit der Lebensmittelversorgung der Flüchtlinge und
beschloss: „Der Stadtrat der Stadt Augsburg unterstützt die Forderung der Flüchtlinge nach
Abschaffung der Essenspakete und fordert die Staatsregierung auf, für die Lebensmittelversorgung
der Flüchtlinge – wie in anderen Bundesländern üblich – Bargeld zur Verfügung zu stellen.“

Diese Resolution, die auch von den Grünen im Landtag aufgegriffen wurde (Drucksache 16/5604),
kann auf der Webseite des Forums nachgelesen werden unter: Resolution „Menschenwürdige
Unterbringung und Versorgung für Flüchtlinge in Augsburg“ Der Sozialausschuss des Stadtrats
tagt, 22.6.2010 – http://www.forumaugsburg.de/s_1aktuelles/2010/06/22_lager-resolution-
sozialausschuss.pdf

Auf Antrag der SPD-Stadträtin Ulrike Bahr berichtete die Verwaltung bei der Stadtratssitzung am
25. November zur Lagersituation angesichts des Hungerstreiks der Flüchtlinge. Dabei erklärte sich
der Sozialreferent Weinkamm als zuständiger Berichterstatter für unzuständig. Auch die zuständige
Sachgebietsleiterin bei der Regierung von Schwaben, Gitta Schmid-Göller, erklärte sich wiederholt
für unzuständig. Der Sprecher der Regierung von Schwaben, Karl-Heinz Meier, erklärte sich
ebenfalls für unzuständig.

Man fragt sich natürlich bei dieser Woge der Unzuständigkeit – wo alles auf das Sozialministerium
und Frau Haderthauer zuläuft –, warum sich die Sozialministerin nicht bewegt? Da findet ein
wuchtiger Hungerstreik in Augsburg statt, der bundesweite Schlagzeilen macht und das rigide
bayerische Asylregime in Verruf bringt – und die Ministerin war noch nicht mal vor Ort. „Es
verletzt die Menschenwürde, wie Bayern die Asylbewerber behandelt“ – so stand es in der
Frankfurter Rundschau vom 24.11.2010. Und der bayerische Rundfunk verbreitete tags darauf,
gestützt auf diesen Artikel und bezogen auf den Hungerstreik in Augsburg, stündlich: „Flüchtlinge
mit Sachleistungen abzuspeisen sei menschenunwürdig.“

Im Interview der Augsburger Allgemeinen vom 30. November mit Karl-Heinz Meyer, Sprecher der
Regierung von Schwaben, antwortet dieser auf die völlig berechtigte Frage, die jetzt nach bald zwei
Wochen Hungerstreik wirklich allmählich gestellt werden muss, warum denn die Regierung von
Schwaben nicht auf die Forderungen der Flüchtlinge eingehe:

„Die Flüchtlinge fordern unter anderem, dass sie statt der Lebensmittelpakete das Geld bar
ausgezahlt bekommen, um selbst einkaufen zu können. Auch der Zustand der Unterkünfte wird
beklagt. Warum gehen Sie denn darauf nicht ein?

Meyer: Wir setzen die Vorgaben um, die uns die bestehenden Verordnungen und Gesetze machen. In
Bayern ist es so geregelt, dass es Sachleistungen und kein Geld gibt. Die Rechtslage lässt keinen
Spielraum offen.“

U.E. täuscht sich die Regierung von Schwaben hier. Die bayerische Asyldurchführungsverordnung
vom 4. Juni 2002 sieht in § 13 Grundleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes

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durchaus Abweichungen vom Sachleistungsprinzip vor – will heißen, Geldleistungen statt
Lebensmittelpakete und Befreiung von der Pflicht, in Unterkünften (Lagern) zu wohnen. In der
Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl heißt es:

„Zuständig für die Entscheidung,

– Leistungsberechtigten an Stelle der ... zu gewährenden Sachleistungen ausnahmsweise
Geldleistungen, Wertgutscheine oder andere vergleichbare unbare Abrechnungen zu
gewähren oder

– Leistungsberechtigte von der Pflicht, in der Unterkunft zu wohnen, zu befreien,

ist … die Regierung.“ (Mit „Regierung“ ist hier die Bezirksregierung gemeint.)

Und es heißt dort: „Das Landratsamt oder die kreisfreie Gemeinde treten an die Stelle der
Regierung, wenn und soweit die Regierung ihnen gemäß Art. 6 des Aufnahmegesetzes
Leistungsberechtigte zur Unterbringung in dezentraler Unterkunft zuweist.“

Man kann uns also nicht erzählen, die Regierung von Schwaben hätte keinerlei Spielraum und keine
Möglichkeit, auf die Forderungen der Flüchtlinge einzugehen. Im Gegenteil, die DVAsyl regelt (!)
direkt die alternativen Möglichkeiten, wie der Bedarf der Flüchtlinge an „Ernährung, Unterkunft
und Heizung, Mitteln zur Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des
Haushalts“ auch anders als durch Sachleistungen gedeckt werden kann.

Auf Nachfrage bei der zuständigen Sachgebietsleiterin für Flüchtlingsbetreuung und Integration bei
der Regierung von Schwaben, Gitta Schmid-Göller, erfuhren wir, dass der Freistaat Bayern in
jedem Fall der Kostenträger bleibe, auch wenn örtliche Träger Geld für Lebensmittel oder
dezentrale Unterkünfte bereitstellen würden. D.h., die Stadt Augsburg würde auch bei alternativen
Regelungen, die die Flüchtlinge fordern und die der Stadtrat in seiner Resolution auch bekräftigt
hat, finanziell nicht belastet.

Nun behauptet aber auch Frau Schmid-Göller, die Regierung von Schwaben sei eine rein
vollziehende Behörde und hätte keinerlei Spielraum. Frau Schmid-Göller gibt aber wenigstens zu,
dass es „interne Vollzugshinweise“ zur DVAsyl gebe, nach denen sie handele. Auf weitere
Nachfrage bestätigte sie uns, dass diese „Vollzugshinweise“ aus dem Bayerischen
Sozialministerium stammten. Wir konnten bisher bei der Regierung von Schwaben nicht in
Erfahrung bringen, ob diese Vollzugshinweise für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Wir fürchten,
„intern Vollzugshinweise“ heißt hier geheim. Damit würde die Bezirksregierung von Schwaben auf
Basis von geheimen Anweisungen aus dem Sozialministerium u.E. zentrale Bestimmungen der
Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) kippen, verletzen, außer Kraft setzen... Selbstverständlich
bestehen wir auf einer Veröffentlichung dieser Vollzugshinweise, damit die Öffentlichkeit in der
Lage ist, zu beurteilen, ob die Regierung von Schwaben gegenüber den Flüchtlingen überhaupt
rechtmäßig handelt, d.h. auf Basis der Asyldurchführungsverordnung.

Wir wollen die Verantwortlichen in der Regierung von Schwaben an ihre behördliche
Fürsorgepflicht gegenüber den Flüchtlingen erinnern. Die in vielerlei Hinsicht menschenunwürdige
Behandlung und Lage der Flüchtlinge in den Augsburger Lagern treibt sie zu einem so
verzweifelten Schritt wie dem Hungerstreik. Kommt die Regierung von Schwaben ihrer
Fürsorgepflicht noch nach, wenn sie hier nicht reagiert und auf keine der Forderungen der
Flüchtlinge bisher eingeht?

Wir geben zu bedenken, dass die Regierung von Schwaben nicht nur ihren behördlichen Spielraum
unterschätzt oder nicht wahrnimmt, sondern die verantwortlichen Behördenvertreter auch ganz
persönlich ihren Spielraum unterschätzen.

Nach dem Beamtenrecht versagen Behördenvertreter u.E., wenn sie sich als reine Vollzugsgehilfen

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darstellen, statt ihrer „Verantwortlichkeit für die Rechtmäßigkeit dienstlicher Handlungen“
nachzukommen, wie es das Beamtenrecht vorsieht. Laut Art. 65 Bayerisches Beamtengesetz
(BayBG) ist ein Beamter trotz Anweisung nicht von der eigenen Verantwortung befreit, wenn „das
ihm aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt.“

Bei „Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen“ kann der einzelne Beamte in
diesem Fall sehr wohl anders handeln und „trägt für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen
Handlungen die volle persönliche Verantwortung.“

Die Vertreter des Bayerischen Flüchtlingsrats und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und
MigrantInnen gaben bei dem Treffen am 30. November bekannt, dass am Donnerstag, den 2.
Dezember, in München eine Abschluss-Pressekonferenz der Schmutzigen-Donnerstags-Tour durch
die Lager in den bayerischen Regierungsbezirken stattfinde. Das Resümee dieser Tour, die die
Flüchtlingsinitiative auch in Augsburg mit der Demonstration am 11. November unterstützt hat,
lautet leider: „Weiterhin menschenwürdige Zustände in den Flüchtlingslagern in Bayern“.

Am Samstag, den 4. Dezember, wird in Nürnberg ein Treffen des Netzwerks Lagerland stattfinden,
zu dem auch Flüchtlinge aus acht Lagern in Bayern, die sich momentan im Streik befinden,
kommen werden.

Am Sonntag, den 5. Dezember werden sich die Delegationen des Streikkomitees aus beiden Lagern
Neusässer Straße und Calmbergstraße erneut treffen, um über die nächste Woche zu entscheiden.

Flüchtlingsinitiative Augsburg, 2.12.2010

Kontakt: Anna Feininger, 0151-20615462 (Wir können gerne Kontakte zu beteiligten Flüchtlingen
vermitteln und stehen Ihnen bei Nachfragen zur Verfügung, auch mit weiteren Bildern)
www.forumaugsburg.de


Resolution „Menschenwürdige Unterbringung und Versorgung für

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